Die Kuh ist kein Klimakiller

Wie die Wissenschaft die Weidehaltung und deren Potential der CO2-Speicherung vernachlässigt

Die negative Klimawirkung intensiver Landwirtschaft ist hinlänglich bekannt. Vor allem stehen Fleisch und Milchkonsum in der Kritik. Schließlich ist die Kuh aufgrund ihres Methanausstoßes ein echter Klimakiller. Selten wird bei der Betrachtung der Klimarelevanz von Rindfleischprodukten aber differenziert, ob die Tiere im Stall oder auf der Weide gehalten werden. Dabei macht dies den entscheidenden Unterschied.

Um zu zeigen, dass Rindfleisch eben doch klima- und artgerecht auf den Teller kommen kann, organisierte das Projekt GanzTierStark zusammen mit der taz am 24. Mai 2022 ein „Drei-Gänge-Menü mit gutem Gewissen“. Während die Gäste köstliches regionales Bio-Weidefleisch genossen, erklärte Dr. Anita Idel, warum das Rind an sich noch kein Klimakiller ist. Ruven Hener vom Gut Temmen, Mitglied von GanzTierStark sowie unserem Projekt „Mob Grazing im Ackerfutterbau“ hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für die innovative Haltung der Temmener Uckermärker auf der Weide, die das ursprüngliche Verhalten von Wildtierherden nachahmt.

Wisente und Auerochsen zogen vor ihrer Domestizierung vor circa 11.000 Jahren ungehindert durch Europa und beweideten dessen Graslandschaften. Um nicht sukzessive zu verbuschen und verwalden, braucht Grasland weidende Tiere. Es entstanden jene Großebenen, wie etwa in der Ukraine, die heute als Kornkammern bezeichnet werden. Die historische Beweidung der Steppenböden durch die Wildtiere ist der Grund für deren hohe Fruchtbarkeit und dicke Humushorizonte. Der positive Effekt der Beweidung von Grasland bleibt in der Diskussion um die Klimafolgen der Rinderhaltung aber meist außen vor. Nachhaltig genutztes Dauergrünland ist eine CO2-Senke, und zwar eine deutlich bessere als der Wald mit fast 50 Prozent mehr gespeichertem CO2 im Boden. Aufgrund der Jahrtausende währenden Koevolution von Grasland und Weidetieren entwickelten Gräser besondere Eigenschaften: Der Biss der Tiere löst einen Wachstumsimpuls aus, der die Photosynteseleistung erhöht und die Gräser mehr Feinwurzeln produzieren lässt. Dabei wird Kohlenstoff aus der Luft zu Biomasse im Boden umgesetzt. Die Feinwurzeln werden in klimaentlastenden Humus umgewandelt. Nachhaltig weidende Rinder können den klimaschädlichen Methangasen, die sie ausscheiden, also Humusbildung entgegensetzen. Wissenschaftliche Untersuchungen, welche die Kuh zum Klimakiller erklären, orientieren sich an der Masthaltung im Stall mit Zufütterung von Kraftfutter. Sie berechnen den Methanausstoß einseitig und beziehen die Haltung auf Dauergrünland nicht ein. In den Medien dominieren diese Ergebnisse. Die Süddeutsche Zeitung schrieb in ihrer Wochenendausgabe vom 21./22. Mai (Nr. 117) in einem Artikel mit dem Namen „Weniger Schnitzel“, die Produktion von Mastrindfleisch erzeuge mit Abstand am meisten CO2-Äquivalente, gefolgt von Schaf- und Ziegenhaltung, Milchkühen, Schweinen und Geflügel. Das Weiderind kommt in diesem Artikel, wie so oft, nicht vor.

Spannend ist die Frage in diesem Zusammenhang aber trotzdem, ob es nicht sinnvoller wäre, keine Rinder mehr zu halten und auf deren Fleisch zu verzichten. Hierbei wird oft vernachlässigt, dass Weiderinder aufgrund ihrer Ernährung mit Gräsern und Kräutern nicht in Nahrungskonkurrenz und auch nicht in Flächenkonkurrenz zu uns stehen. Sie beweiden oft Randstandorte, die nicht für die pflanzliche Nahrungsmittelproduktion geeignet sind, oder Dauergrünlandflächen, die nicht mehr zu Ackerflächen umgewandelt werden dürfen. Wilhelm Windisch, Professor für Tierernährung an der TU München, sprach in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 24. April 2022 (Nr. 16) davon, dass wir die Tierhaltung als den zweiten Kreislauf in der Landwirtschaft nicht aufgeben dürfen. Professionelle Weidehaltung „liefert uns praktisch umsonst zusätzlich eine große Menge an Kilokalorien und Eiweiß“. Der springende Punkt sei die große Menge jener Biomasse, die bei der Produktion veganer Lebensmittel anfällt und nicht für den Menschen, aber für Wiederkäuer verwertbar ist. Bei der Zukunftsvision einer rein veganen Ernährung müsse die vegane Produktion massiv erhöht werden – mit allen Problemen des Ackerbaus und ohne das CO2-Speicherungspotential von Grünland. Dazu stellt sich die Frage, wie wertvolle Kulturlandschaften ohne die Weidehaltung und deren Beitrag zur Biodiversität erhalten werden können.

Unstrittig ist, dass wir generell zu viele tierische Produkte konsumieren. Hier setzt auch das Projekt GanzTierStark an, welches das „Drei-Gänge-Menü mit gutem Gewissen“ initiiert hat. Sie begleiten Kantinen dabei, ihren Gästen hochwertiges regionales Bio-Rindfleisch aus Weidehaltung anzubieten. Die Kantinen bieten in der Folge weniger, aber dafür gutes Fleisch an. Unter diesem Motti konnte das Dinner in der taz-Kantine jedenfalls schon mal überzeugen – mit leckerem Weiderind und ganz viel food for thought.

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